Verhandeln im Opel - Verbrennen Sie nicht weiter Geld und parken Sie um im Kopf!

Dr. Alexander Hoeppel

Veröffentlicht am 30.05.2021 von 
Dr. Alexander Hoeppel, Gründer und Verhandlungstrainer bei nachnordosten

Win-Win-Verhandler als leichte Beute?

Für viele Kritiker wertschöpfender Verhandlungstechniken ist „Win-Win“ nur ein Schlagwort, das häufig von einer Partei genutzt wird, um einseitige Ausbeutungsgewinne zu ermöglichen. Eine Partei erweckt den Eindruck, es gehe ihr um Wertschöpfung, um dann „knallhart“ auf der Verteilungsebene „abzuräumen“.

Jim Camp, einer der bekanntesten Kritiker des Win-Win-Konzeptes, illustriert eine solche Verhaltensweise anhand von PICOS (1). PICOS steht für Program for the Improvement and Cost Optimization of Suppliers und wurde in den 90er Jahren von Jose Ignacio Lopez de Arriotua für General Motors zur Reduktion der Produktionskosten bei den Zulieferern eingeführt. Hierfür bot man den Zulieferern „Unterstützung“ an und analysierte gemeinsam den Produktionsprozess.

Diese Methode hatte zwei Ergebnisse zur Folge:

  1. Die Produktion wurde wesentlich effektiver.
  2. General Motors kannte die Kosten und Margen der Zulieferer und konnte daher fortlaufend den Einkaufspreis drücken.

Anerkennend sprach man zukünftig vom López-Effekt (2), wenn durch Steigerung der Produktionseffizienz und harte Verhandlungen mit den Zulieferern Kosten eingespart werden konnten. Allerdings war kurze Zeit darauf vom López-Effekt bei einem signifikanten Qualitätsverlust die Rede.(3)

Doch wie ist López‘ Vorgehen aus Sicht der Verhandlungslehre zu bewerten?

Die zunächst unbefriedigende Antwort lautet: Es kommt darauf an. Entscheidend ist nämlich zum einen, aus wessen Perspektive Sie die Verhandlungsergebnisse bewerten und zum anderen, um welche Art von Verhandlung es geht.

Betrachten wir es aus López‘ Perspektive und nehmen an, ihm sei es um die kurzfristige Steigerung der Effizienz und die Reduzierung der Kosten gegangen. Dann war sein Verhalten effektiv.

Sofern aber López‘ Intention darin bestand, die Kunden und Arbeiter von General Motors zufriedenzustellen (3), sind Zweifel an seiner Strategie angebracht. Nicht aus moralischen Gründen, sondern einzig, weil sein Vorgehen offensichtlich auch negative Folgen für diese Interessen zeitigte.

Auf Seite der Zulieferer wäre zunächst danach zu fragen, ob hier überhaupt eine Verhandlung mit Wertschöpfungspotential gegeben war. Denn die Preisgabe interner Zahlen und Abläufe entspricht der Preisgabe hochsensibler und verhandlungsrelevanter Informationen. Das sollte eine Partei jedoch niemals tun – völlig unabhängig von der Art der Verhandlung und des individuellen Verhandlungsstils. Hier wäre jedoch nicht eine Warnung vor dem Win-Win-Verhandeln, sondern vor einer allzu fahrlässigen Informationspreisgabe angebracht.

Informationspreisgabe bedeutet häufig Informationen über den Preis!

General Motors dürfte wohl – abgesehen von weiteren Auseinandersetzungen mit Herrn López (5) – kaum ein Interesse daran gehabt haben, langfristig den Wert der Marke Opel durch schlechte Testwerte und Rückrufaktionen in Mitleidenschaft zu ziehen.

Dennoch lässt sich Jim Camps Kritik etwas abgewinnen. Wenn ich schon Verhandeln trainiere, wäre es dann nicht weitaus effizienter, sich auf die Vergrößerung meines Stücks vom Kuchen zu konzentrieren, zu lernen, wie man hart verhandelt, anstatt sich unter dem Vorwand des Win-Win „über den Tisch ziehen zu lassen“?

Stärken stärken beim Verhandeln?

Tatsächlich sollten sie in keinem Fall die Herausbildung Ihrer Fähigkeiten für die Verteilungsverhandlung vernachlässigen. Zugleich sollten Sie sich aber fragen, welcher Art der Großteil der Verhandlungen ist, die sie führen. Wenn Sie hauptsächlich für die Beschaffung des alltäglichen Bürobedarfs verantwortlich sind, sollten sie sich auf die Professionalisierung von Verteilungsverhandlungen konzentrieren. Sind Sie jedoch personalverantwortlicher Manager eines Dienstleistungsunternehmens, das erklärungsbedürftige Lösungen vertreibt, sollten Sie sich intensiv mit Wertschöpfungspotentialen in Verhandlungen befassen.

Ob Wertschöpfung möglich ist, lässt sich vor einer Verhandlung nicht immer sagen. Halten Sie daher nach folgenden Indikatoren Ausschau: 

  • Mehrere Verhandlungsgegenstände/Themen
  • Unterschiedliche Priorisierung der Verhandlungsgegenstände
  • Unterschiedlichkeit der Verhandlungspartner hinsichtlich Größe, wirtschaftlicher Lage, Organisationsstruktur
  • Unterschiedliche Zukunftsszenarien
  • Unterschiedliche zeitliche Abhängigkeiten

Für jeden der Punkte lassen sich schnell Beispiele finden.

Unterschiede als Voraussetzung für Wertschöpfung

 Nehmen wir an, ein Konzern kauft von einer kleineren Beratungsfirma eine hochspezialisierte Dienstleistung zu Stundensätzen ein. Natürlich wäre es dem Konzern am liebsten, die Dienstleistung möglichst billig einzukaufen. Die pünktliche und professionelle Durchführung der Dienstleistung ist jedoch die Voraussetzung für eine Vielzahl weiterer Prozessschritte in einem millionenschweren Projekt. Aufgrund schlechter Erfahrungen mit ähnlichen Dienstleistungen ist man skeptisch, ob das Projekt ohne Verzögerung umgesetzt werden kann. Der Beratungsfirma ist es andererseits wichtig, ein möglichst kurzes Zahlungsziel realisieren zu können, da sie zum Teil selbst auf Einzelressourcen zurückgreift. Zudem möchte man den Konzern als Kunden dauerhaft binden. Hinsichtlich der Umsetzung ist man aufgrund der Spezialisierung und zahlreicher Vergleichsprojekte sehr zuversichtlich.

Ähnlich Szenarien finden sich in den meisten Branchen. Dank der Unterschiedlichkeit lassen sich verschiedene Wertschöpfungspotentiale identifizieren. So wäre eine Einigung mit einem kurzen Zahlungsziel und einem verringerten Stundensatz u. U. interessengerechter für beide Parteien. Der große Konzern kauft etwas preiswerter ein, dafür gerät der Dienstleister nicht in Liquiditätsengpässe aufgrund zu langen Zahlungsziels. Ebenso interessengerecht kann es sein, wenn der Dienstleister und der Konzern sich darauf einigen, dass der Stundensatz bei Nichterfüllung des Zeitplanes unter ansonst gleichen Bedingungen für alle über das Budget hinausgehenden Stunden verringert wird usw.…

Durch solche Vertragsgestaltung wird Wertschöpfung ermöglicht, weil beide Parteien Ihre Interessen besser befriedigen können. Wenn die Wertschöpfungspotentiale jedoch nicht gefunden und genutzt werden, verbrennen beide Seiten Geld.

Die Geschichte des „Opel-Effekts“ macht deutlich, wie wichtig es ist, sich der eigenen Interessen bewusst zu werden und wie gefährlich es sein kann, sich auf die einseitige Durchsetzung der eigenen Ziele zu fokussieren.

Opels Kampagne „Umparken im Kopf“ ist ein schöner Anstoß, sich mit den eigenen Annahmen über das Verhandeln kritisch auseinanderzusetzen.

 

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Mehr Informationen

Literaturangaben:

  1. Zu Camps Darstellung von PICOS vgl. Jim Camp, Start with No. America’s Number One Negotiation Coach Explains Why Win-Win is an Ineffective, often Disastrous Strategy, and how you can beat it, New York 2002, S. 4-5.
  2. Vgl.: Steffen Kinkel/Christoph Zanker, Globale Produktionsstrategien in der Automobilzuliefererindustrie. Erfolgsmuster und zukunftsorientierte Methoden zur Standortbewertung, Berlin 2007, S. 108.
  3. „Sowohl Opel (GM) als auch Volkswagen hatten jedoch in der Folge von López‘ Sparmaßnahmen unter teils massiven Qualitätsproblemen und kostspieligen Rückrufaktionen zu leiden, weswegen heute unter dem López-Effekt in erster Linie aus Sparmaßnahmen resultierende Qualitätsprobleme verstanden werden.“ (Stefan Bratzel/Gerd Retterath/Niels Hauke, Automobilzulieferer in Bewegung. Strategische Herausforderungen für mittelständische Unternehmen in einem turbulenten Umfeld, Baden-Baden 2015, S. 72).
  4. „Mach die Kunden und die Arbeiter glücklich. Das ist alles, worum es geht.“ (López im Interview mit Brand eins; Johannes Wiek, Der Krieger. José Ignacio López de Arriortúa war das Vorbild einer ganzen Managergeneration. Ist das ein Erfolg? Interview in: Brand eins (10/2006), S. 94–100).
  5. López wurde von Volkswagen abgeworben. Nachdem 20 Kartons mit hochsensiblen Daten zu allen Opel-Standorten sowie zu Einkaufspreisen und Herstellungskosten bei engen Mitarbeitern von López gefunden worden waren, erstattete General Motors Anzeige wegen Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie wegen Industriespionage. Nach langjähriger juristischer Auseinandersetzung wurde unter Vermittlung von Helmut Kohl und Bill Clinton ein Vergleich ausgehandelt. López musste bei VW zurücktreten und VW 100 Mio. US-$ Schadensersatz an GM zahlen sowie für 1 Mrd. US-$ Bauteile von GM beziehen.
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