Dreimal Nordstern - Woran Sie sich beim Verhandeln orientieren können

Dr. Alexander Hoeppel

Veröffentlicht am 26.08.2021 von 
Dr. Alexander Hoeppel, Gründer und Verhandlungstrainer bei nachnordosten

Ziele, erstes Angebot und Bewertung des Verhandlungsergebnisses

Wohin soll es in Verhandlungen gehen und wie gelange ich dort hin? Vielleicht wollen Sie einen niedrigeren Preis, bessere Qualität und kürzere Lieferzeit. Wer sich mit dem professionellen Verhandeln auseinandersetzt, der lernt schnell, auch hinter die Positionen der Gegenseite zu blicken. Doch häufig sind den Verhandlungsparteien noch nicht einmal die eigenen Interessen wirklich klar. Im Folgenden lesen Sie, woran sich sich für Ihre eigenen Ziele orientieren sollten, wie Sie ein erstes Angebot formulieren und am ende das Verhandlungsergebnis bewerten können.

Ihr innerer Nordstern - Wissen Sie, was Sie wirklich antreibt?

William Ury schildert in „Getting to Yes with Yourself“ den anschaulichen Fall des brasilianischen Geschäftsmannes Abilio Diniz, der sich zwar seiner Positionen („ich will X und ich will Y“), aber nicht der dahinterliegenden Beweggründe bewusst war. Erst auf mehrfaches Nachfragen erkannte er, dass hinter vielen seiner Forderungen der Wunsch nach Freiheit stand. Freiheit wurde so zu seinem Fixpunkt, seinem Nordstern. (1) Seinen eigenen Nordstern zu kennen, ist eine Grundvoraussetzung, um interessengerechte Verhandlungsergebnisse erzielen zu können. Doch häufig fällt es uns selbst gar nicht so leicht, die eigenen Wünsche, Ziele und Prioritäten klar zu benennen. Daher sollten Sie sich vor allem vor strtegisch wichtigen Verhandlungen genau damit auseinandersetzen, was Sie antreibt und welche Interessen hinter Ihren Positionen stehen. Wem das nun etwas zu esoterisch klingt, der kann sich fragen, welcher Zielsetzung es dient, wenn z. B. ein Einkäufer eines großen Konzerns von einem kleinen Dienstleister 90 Tage Zahlungsziel verlangt („Firmenpolitik“) oder wenn Incentivierungsmodelle sich ausschließlich auf den Umsatz fokussieren. Cashflow-Optimierung und Umsatzsteigerung sind zwar sinnvolle Zielsetzungen, aber in beiden Fällen sollte man fragen, wozu. Vor der Verhandlung sollten sie sich daher nicht nur Gedanken dazu machen, was Sie wollen, sonder v.a., aus welchen Gründen Sie es wollen. Das ist der erste Nordstern, dem Sie folgen sollten. Er leuchtet Ihnen den Weg für eine ideale Verhandlungsvorbereitung. Doch wie gelangen Sie nun möglichst nah an Ihren Nordstern?

Das erste Angebot - Gekonnt den Anker werfen

Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass es in Verhandlungen ein großer Vorteil ist, das erste Angebot zu machen. Der wesentliche Grund hierfür ist der Ankereffekt. Die zuerst genannte Zahl beeinflusst maßgeblich die Erwartungshaltung der Gegenseite und den Verlauf der Verhandlung (2). Doch wie genau sollten Sie nun Ihr erstes Angebot gestalten? Meine Empfehlung: Formulieren Sie ein Nordstern-Angebot (3). Diese Angebot zeichnet sich dadurch aus, dass es für Sie extrem vorteilhaft ist, Sie es aber noch mit Argumenten untermauern können, so dass es „rational“ wirkt. Es reicht also nicht, wenn sie einfach nur eine besonders hohe Forderung aufstellen. Stattdessen sollten Sie erklären können, wie Sie zu Ihrer Forderung gekommen sind.

 Für eine Gehaltsverhandlung googlen Sie also z. B., welche Gehälter in ähnlichen Bereichen und Funktionen bezahlt werden und wählen das höchste Gehalt als Referenzwert. „Ich habe im Vorfeld unseres Gespräches recherchiert und das Gehalt liegt hier bei (bis zu) 150.000 €.“ So setzen Sie zudem eine Technik um, die man Non-Offer Offer (4) nennt. Denn die Formulierung bedeutet ja nicht, dass Sie 150.000 € möchten, sondern „nur“, dass bis zu 150.000 € gezahlt werden. Schon kleine Abweichungen in der Formulierung – z. B. „bis zu“ – können hier einen großen Unterschied machen. Ein weiterer Effekt, den Sie nutzen können, ist die vermeintlich Genauigkeit Ihres Ankers. Ein krummes, zweites Angebot, das auf die zweite Nachkommastelle genau angegeben wurde, wirkt „ausgerechnet“ und damit überzeugender. Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten. In Verhandlungen mit Profis und in bestimmte Branchen schwächen Sie Ihren Anker durch zu hohe Präszision („Sie bekommen dieses Haus für nur 337.948, 32 €“) (5). Gutes Ankern geht nur mit Vorbereitung. Überlegen Sie sich daher am besten vor jeder Verhandlung ein Nordstern-Angebot und formulieren Sie es schriftlich.

Sterbender Stern oder nachhaltiger Erfolg? - Bewertung des Verhandlungsergebnisses

Am Ende zählt das Ergebnis. Auch wenn hierüber Einigkeit besteht, werden Verhandlungsergebnisse häufig nicht umfassend bewertet. So kann es sein, dass zwar auf der Verteilungsebene ein sehr gutes Ergebnis erzielt wurde, dafür aber die Beziehung mit dem langjährigen Geschäftspartner in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Michael Watkins hat hierfür einen „north star goals“ entworfen, die als Kriterien für ein optimales Verhandlungsergebnis dienen (6):

  1. Möglichst alle Wertschöpfungspotentiale zu realisieren.
  2. Einen angemessenen Teil des Werts für sich zu beanspruchen.
  3. Strategische Beziehungsinteressen auszubauen und zu schützen.
  4. Die eigene Glaubwürdigkeit als harter, kreativer und vertrauenswürdiger Verhandler zu erhöhen.

Nicht jedes Verhandlungsergebnis wird alle Kriterien im gleichen Ausmaß erfüllen und zur Wahrheit gehört auch, dass die Zielsetzungen in einen Konflikt zueinander geraten können. Die Fokussierung auf Wertschöpfung kann zu einem schlechteren Ergebnis in der Wertverteilung führen (und umgekehrt). Die Komplexität des Verhandelns liegt aber letztlich darin, das Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertverteilung anzuerkennen und startegisch damit umzugehen. Einfache Lösungen gibt es dafür nicht immer, aber wenn Sie sich an den oben beschriebenen „Nordsternen“ orientieren, stehen die Chancen gut, dass Sie den Weg nachnordosten und damit zu exzellenten Verhandlungsergebnissen finden.

Literaturangaben:

  1. William Ury, Getting to Yes With Yourself, London 2015, S. 18.
  2. Ich verzichte hier auf umfassende Literaturangabe; vgl. aber statt vieler: Daniel Kahneman, Thinking, fast and slow, New York 2011, S. 119–128.
  3. Für das ideale erste Angebot gibt es ganz unterschiedliche Bezeichnungen, einige sprechen von „maximum plausible position“ (Roger Dawson, Power Negotiating for Sales People, S. 24, Newburyport 2001, S. 24) andere von „x-plAn-Strategie“ (Siegfried Rosner/A. Winheller, Gelingend Kommunikation, München 2016, S. 280).
  4. David Lax/James Sebenius, 3-D Negotiation, Boston 2006, S. 191 f.
  5. Marie-Lena Frech et al., How and Why Different Forms of Expertise Moderate Anchor Precision in Price Decisions, in: Experimental Psychology 66 (2/2019), S. 165-175.
  6. Michael Watkins, Shaping the Game, Boston 2006, S. 8f.
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