Liebe und Hass auf dem Basar - hart, weich oder professionell verhandeln?

Dr. Alexander Hoeppel

Veröffentlicht am 24.08.2021 von 
Dr. Alexander Hoeppel, Gründer und Verhandlungstrainer bei nachnordosten

Strategische Orientierung

Für die strategische Orientierung in Verhandlungen ist es besonders wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, ob und in welchem Ausmaß Beziehungsinteressen eine Rolle spielen. Anhand der Sach- und der Beziehungsziele können Sie jede Verhandlung zunächst anhand einer einfachen Systematik einordnen (zur Herkunft dieses Modells s. unten (1)).

Nehmen wir an, Sie wollten  Ihre kettenrauchende Schwiegermutter mit einen Aschenbecher als Mitbringsel aus dem Urlaub erfreuen. Die Verhandlung auf dem Basar wäre im rechten unteren Quadranten anzusiedeln. Sie wollen den Aschenbecher, aber die Beziehung mit dem Händler ist Ihnen egal. Daher sind auch jene Darstellungen völlig irreführend, die im rechten oberen Quadranten das „Effektive Verhandeln“ verorten . Wer morgens um 10 Uhr auf den Basar geht, sich bis 16 Uhr um eine gedeihliche Beziehung bemüht, um kurz vor Schließung des Marktes den Aschenbecher zu kaufen, der hat sicher nicht „effektiv“ verhandelt.

Es ist hier ähnlich wie mit der Einordnung der berühmten Orangen-Verhandlung zwischen den Schwestern. Ob die Beziehungsebene eine Rolle spielt, ist zunächst einmal eine Frage des Sachverhalts.

Eine andere Frage ist es, wie Sie mit dem Basarhändler verhandeln sollten. Denn auch wenn die Analyse der Verhandlungssituation für Sie sehr schnell zu dem Ergebnis geführt hat, dass die Beziehung hier keine besondere Relevanz hat, spricht nichts dagegen, sich mit dem Basarhändler gut zu stellen. Der professionelle Basarhändler wird ohnehin alles tun, um Ihre sehr kurz andauernde Beziehung möglichst angenehm zu gestalten. 

Doch wie sollten Sie sich verhalten, wenn es nicht nur um den Aschenbecher auf dem Basar, sondern um eine wichtige Einkaufsverhandlung mit einem Zulieferer für ihren Arbeitgeber geht?

„Sie sind mir so unsympathisch und haben mich so unter Druck gesetzt, dass ich Ihnen dann doch den Preisnachlass gegeben habe.“ 

Wie realistisch klingt eine solche Aussage? „Hartes“ Verhandeln, das sich auch gegen die Person richtet, wäre nur dann sinnvoll, wenn man eine solche Bewertung für realitätsnah hält. Tatsächlich reagieren Menschen auf als grob unfair empfundenes Verhalten aber mit Abwehr, nicht mit Preisnachlass. Daher gelten auch für den unteren, rechten Quadranten – einseitig durchsetzen – dieselben Empfehlungen für den Umgang miteinander wie für die gemeinsame Optimierung. Der Unterschied ist eher ein gradueller. Wenn Sie ein sehr hohes Interesse an der Beziehungsebene haben, sollten Sie das auch entsprechend „einpreisen“ und ganz gezielt in die gute Beziehung investieren.

Entscheidend ist, dass Sie Ihre Sachinteressen nicht aus den Augen verlieren. Ein weiteres Prinzip effektiven Verhandelns lautet daher:

Unterscheiden Sie zwischen der Sach- und der Beziehungsebene!

Nur wenn Ihnen das gelingt, können Sie eine gute Beziehungsebene aufbauen und zugleich Ihre Zwecke verfolgen. Das kann auch in einer rein distributiven Verhandlung sehr hilfreich sein, um das größte Stück des Kuchens mit nach Hause zu nehmen. Tatsächlich ist es jedoch häufig so, dass intuitive Verhandler entweder besonders gut darin sind, wertschätzend und beziehungsschonend miteinander zu verhandeln oder darin, auf der Verteilungsebene besonders gut abzuschneiden. Das liegt daran, dass jeder Mensch einen intuitiven Stil mitbringt, der sich als „harter“ oder „weicher“ Verhandlungsstil beschreiben lässt.

Einordnung der Stile nach Roger Fisher/William Ury, Getting to Yes: Negotiating an agreement without giving in, New York 1991, S. 9.

Bei den obigen Stilen handelt es sich jedoch nicht um starre Charakterisierungen eines Verhandlers. Viele Menschen verhandeln in einigen Situationen besonders hart und in anderen Situationen – oder mit bestimmten Menschen – besonders weich. Im Rahmen einer professionellen Verhandlungsausbildung wird Ihnen ermöglicht, über den eigenen Stil und die jeweils erlangten Ergebnisse zu reflektieren.

Die Analyse der Sachlage ist zwar bedeutsam für die Wahl der Strategie; damit ist aber noch nicht die beantwortet, wie Sie sich ganz konkret verhalten sollten. Daher wollen wir noch einmal zum Aschenbecher für die Schwiegermutter zurückkehren und uns zwei unterschiedliche Szenarien vorstellen.

Szenario 1: Sie haben sich herausragend gut mit dem Basarhändler verstanden. Obwohl Sie im Ausland unterwegs waren, haben Sie festgestellt, Fans desselben Fußballvereines zu sein. Zudem war es einfach nett, sich mit einem „Local“ auszutauschen. Den Aschenbecher haben Sie schließlich nach etwas Feilschen auch gekauft – zu einem sehr guten Preis (umgerechnet 4,50 €), wie Ihnen der Basarhändler lächelnd versicherte.

Szenario 2: Mit Basarhändlern muss man immer vorsichtig sein! Der „freundlichen“ Einladung an den Stand sind Sie daher nur widerwillig gefolgt. Dann hat der Basarhändler auch noch versucht, sich einzuschmeicheln durch die dreiste Lüge, er sei Fan Ihres Lieblingsvereins. Darauf sind Sie nicht eingegangen. Dafür haben Sie aber mal ganz genau den Stand inspiziert und auch betont, dass Sie in der Gegend sehr gut mit den lokalen Behörden vernetzt seien. Die Preisverhandlung haben Sie nach allen Regeln der der Kunst geführt. Zuletzt hat der Basarhändler klein beigegeben und Ihnen den Aschenbecher für Ihre Schwiegermutter zu einem sehr guten Preis (umgerechnet 4,50 €) verkauft.

Die Frage nach der Verhandlungsperformance lässt sich leicht beantworten – sie ist in beiden Szenarien identisch. Es handelt sich um eine rein distributive Verhandlung. Jeder Euro, den Sie weniger bezahlen, kommt aus dem Geldbeutel des Händlers.

Der Streit zwischen einem kooperativ-freundlichen Verhandlungsstil und einem „harten“ Verhandlungsstil lässt sich anhand der zwei Szenarien wohl kaum lösen. Im ersten Szenario kommt es offensichtlich darauf an, trotz kooperativer Grundhaltung nicht zu vergessen, einen möglichst guten Preis zu verhandeln.

An den Erfolgsaussichten des Verhaltens in Szenario 2 lässt sich jedoch mit guten Gründen zweifeln. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, warum Ihnen jemand für ein unkooperatives Verhalten auf der Beziehungsebene mit einem attraktiven Angebot auf der Sachebene entgegenkommen sollte.
Das heißt aber zugleich, dass ein grundsätzlich kooperatives Verhalten auf der zwischenmenschlichen Ebene auch in reinen Verteilungsverhandlungen für die Durchsetzung Ihrer Interessen sinnvoll ist.

Ein weiteres Prinzip des sog. Harvard-Konzeptes ist es, weich gegenüber der Person und hart in der Sache zu sein. Das formulierte Cludio Acquaviva (1543-1615), der fünfte Generalsuperior der Jesuiten bereits 1606 ganz ähnlich: "Fortiter in re, siaviter in modo."

Als „Win-Win“ könnte man beim Aschenbecher-Beispiel sowohl Szenario 1 als auch Szenario 2 bezeichnen. In Szenario 1 hatten möglicherweise beide Freude an der Verhandlung. Im zweiten Szenario ist der Käufer sehr siegesgewiss. Ein objektives Kriterium würde hier ohnehin nur der Reservationspreis des Basarhändlers liefern, also der minimale Preis, für den er den Aschenbecher gerade noch verkaufen würde. Möglicherweise fühlt sich daher auch in Szenario 2 der Verkäufer als „Gewinner“, weil er genau weiß, wie weit er noch von seinem Reservationspreis entfernt war.

Die Verwendung des Begriffs „Win-Win“ für die Beschreibung eines Zustandes, in dem es zwei Gewinner gibt oder sich beide als Gewinner „fühlen“, halte ich für irreführend. Präziser gesagt: Diese Verwendung entstammt der wissenschaftlichen Analyse von Gruppendynamiken und Konfliktbewältigung und lässt sich nicht 1 zu 1 auf das Verhandeln übertragen. Für die Konfliktbewältigung wird zwischen vier verschiedenen Methoden und individuellen Präferenzen (3) unterschieden.

„Win-Win“ wäre in diesem Zusammenhang im rechten oberen Quadranten („Problem solving“ oder auch „Cooperating“) zu verorten. Hervorzuheben ist jedoch, dass ein Konflikt nicht notwendigerweise die Verteilung eines endlichen Guts oder die Entscheidung zwischen verschiedenen Optionen beinhalten muss. Auf dem Basar könnte auch ein Konflikt dadurch entstanden sein, dass Sie als Käufer zwei Wochen vorher ein eher fragwürdiges Verhandlungstraining besucht haben und nun sämtliche Einschüchterungstaktiken an einem Basarhändler ausprobieren wollten. Der reagiert jedoch nicht mit Preisnachlass, sondern aufgrund gekränkter Ehre mit einer unerwarteten Maximaleskalation des Konfliktes. Vielleicht haben Sie beim selben Verhandlungstrainer auch gleich eine Kampfsportausbildung gebucht und überwinden den Basarverhändler – auf den Preis des Aschenbechers für die Schwiegermutter dürfte das alles keinen Einfluss mehr haben.

Zum Dual Concern-Modell der Konfliktbewältigung vgl.: Donelson R. Forsyth, Group Dynamics, Wadsworth 52006, S. 402; Grafik: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Model_of_dual_concern_theory.jpg

Für das professionelle Verhandeln sind daher drei Dinge zu unterscheiden:

  1. Reflexion und Erkennen des eigenen Stils.

  2. Analyse und Unterscheidung verschiedener Verhandlungsarten.

  3. Flexibilität auf taktischer und strategischer Ebene innerhalb einer Verhandlung.

So sind Sie auch auf die Situationen besser vorbereitet, in denen Sie zwar nicht um Ihr Leben verhandeln müssen, aber dennoch ein gutes Ergebnis erzielen wollen:

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Mehr Informationen

Literaturangaben:

1. Das obige Modell zu den Grundstrategien orientiert sich am Managerial Grid- von Robert R. Blake und Jane Mouton (Robert R. Blake/Jane Srygley Mouton, The Managerial Grid: The Key to Leadership Excellence, Houston 1964). Sowohl auf Konflikt- als auch Verhandlungssituationen wurde das Modell mehrfach auf andere Zusammenhänge übertragen (vgl. Kenneth W. Thomas, Conflict and Conflict Management, in: M.D. Dunette (Hg.), Handbook of Industrial and Organizational Psychology, Chicago 1976, S 889–935; Dean G. Pruitt/Peter J. Carnevale, Negotiation in Social Conflict, Brooks/Cole, CA 1993).

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