Oh, yes, it's Ladies' Night and the feeling's not right?– Braucht es Verhandlungstrainings speziell für Frauen?

Dr. Alexander Hoeppel

Veröffentlicht am 27.09.2023 von 
Dr. Alexander Hoeppel, Partner und Verhandlungstrainer bei nachnordosten

Vermeintliche und tatsächliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Zur Zeit ist es angesagt, über den Einfluss des (biologischen und des sozialen) Geschlechts auf alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche zu sprechen. Für das Verhandeln könnte man anhand der zunehmenden Anzahl an Trainingsangeboten speziell für Frauen annehmen, es gäbe eine weibliche und eine männliche Art zuu Verhandeln. Diese aus Marketing-Sicht nachvollziehbaren Claims reproduzieren aber häufig eher Stereotype statt Methoden zu vermitteln, die – unabhängig vom Geschlecht – zu besseren Verhandlungsergebnissen führen. Tatsächlich gibt es jedoch ein paar Unterschiede, die sich auch wissenschaftlich feststellen lassen. Wer es nicht bei Mutmaßungen oder Marketing  belassen will, dem empfehle ich einen Blick in den 2020 erschienenen, von Mara Olekalns und Jessica Kennedy herausgegebenen Sammelband.

Unterschiede und der Umgang mit Ihnen

Inzwischen sind eine Vielzahl von Studien zum Einfluss des Geschlechts auf Verhandlungen erschienen. Dabei lassen sich sowohl Faktoren struktureller Benachteiligung von Frauen als auch Unterschiede im Verhalten feststellen:

  • Frauen initiieren seltener Verhandlungen.
  • Frauen schneiden in kompetitiven Verhandlungen etwas schlechter ab als Männer.
  • Frauen werden für Verhaltensweisen bestraft, für die Männer belohnt werden.
  • Frauen verhalten sich im Durchschnitt kooperativer.
  • Frauen preisen Beziehungsziele als wertvoller ein.

Die gute Nachricht: Viele dieser Effekte lassen sich abschwächen oder ganz ausschalten. Frauen verhandeln zum Beispiel besser, wenn sie für jemand anderen verhandeln. Sich selber vorzustellen, man verhandle nicht in eigener Sache, kann daher bereits einen positiven Effekt auf die Verhandlungsperformance haben. Nicht ganz so einfach ist der Umgang mit Formen der strukturellen Diskriminierung, also z.B., wenn eine Frau für durchsetzungsstarkes Verhalten benachteiligt, ein Mann für das selbe Verhalten aber belohnt wird.

„Women therefore, face a choice that seems impossible: if they limit themselves to behaviors that are consistent with prescriptive stereotypes for women (e.g., act communally and display warmth), they will be perceived as less competent and sacrifice valuable career outcomes. But if they adopt masculine behaviors (e.g., act agentically and display competence), they violate those prescriptive stereotypes and suffer backlash.“ (Kulik/Sinha/Olekalns, 298)

„Wie frau es macht, macht frau es verkehrt“ könnte man pessimistisch feststellen.

Verhandeln nur für Frauen?

Bei nachnordosten gehen wir zwar in unseren Trainings auf mögliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern beim Verhandeln ein, ein „reines“ Frauentraining wird es – zumindest als Einstiegsmodul – bei uns aber nicht geben. Das hat mehrere Gründe:

  • Frauen UND Männer sind unterschiedlich gut in verschiedenen Verhandlungsarten. Sowohl unter Frauen als auch Männern gibt es Personen, die in wertschöpfenden Verhandlungen besser sind und jene, die in wertverteilenden Verhandlungen besser abschneiden.
  • Wie Kulik, Sinha und Olekalns in einem der Artikel selbst schreiben, sind Frauen-Netzwerke meist geschlechtshomogener (310). Frauen netzwerken also eher mit Frauen. Das führt zu einem selbstverstärkendem Effekt, wenn es zum Beispiel um den Austausch zu Zielsetzungen geht. Gerade in unseren gemischten Trainings wird funktions-, geschlechts- und firmenübergreifend Wissen ausgetauscht und neue Kontakte geknüpft.
  • Für Männer ist es schädlich, wenn sie sich von Stereotypen leiten lassen. Für Männer ist es also ein großer Vorteil, auch mit Frauen in den Trainings zu verhandeln und über Geschlechterstereotype Bescheid zu wissen.
  • Frauen „müssen“ außerhalb von Trainings in der Regel auch mit Männern verhandeln. Positive Effekte eines geschlechtsspezifischen Trainings wiegen m.E. nicht so schwer wie diese Trainingsmöglichkeit.
  • Viele der Verhaltensweisen, die für Frauen zu schlechteren Verhandlungsergebnissen führen, sind nicht „geschlechtsexklusiv“. Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden immer „im Durchschnitt“ festgestellt. Es gibt Gruppen, in denen unter 12 Teilnehmern die vier Frauen den 8 Männern in Verteilungsverhandlungen haushoch überlegen sind. Die Stichprobe der Teilnehmerzahl ist einfach zu gering. Was für eine vertane Chance, wenn Männer hier nicht von Frauen lernen könnten – und umgekehrt.

Mind the Gap - Professionelles Verhandeln überschreitet Grenzen

Persönlich halte ich die Aufteilung in immer homogenere Gruppen in allen Bereichen des Gesellschaftlichen für problematisch. In sozialen Medien spricht man hierbei von „Bubbles“ und wir alle sind inzwischen mehr oder weniger in solchen Blasen gefangen. Daher begrüße ich jede Gelegenheit, bei der Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Herkünfte, Fachabteilungen und selbsterwählter Identitäten sich austauschen können und trotz oder gerade wegen der Unterschiedlichkeit zu guten Ergebnissen gelangen. Als möglicher Grund für geschlechtsspezifische Trainings erscheint mir die Errichtung einer angenehmen Lernumgebung – neudeutsch safe space – auf den ersten Blick nachvollziehbar. Letztlich ist für mich und unsere Trainings aber die Effizienz der Nordstern unseres Handelns. Unsere Kundinnen und Kunden sind vor allem ambitionierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Führungskräfte und Verhandlungspraktikerinnen und Praktiker aus Vertrieb, Einkauf, Projektmanagement und Management. Selten bestehen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern daher Angst vor dem Verhandeln oder  gar vor dem professionellen Umgang mit dem andere Geschlecht. Da außerhalb von Trainings auch mit ganz unterschiedlichen Verhandlungspartnern verhandelt werden „muss“, sollte nicht ausgerechnet in Trainings in dieser Hinsicht ein Lücke bestehen.

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